TOURISMUS - CHANCE oder FALLE 2er Beitrag zur Debatte


[ Reisen Cabo Verde - Kapverdische Inseln ]


Geschrieben von LuigiFogo am 20. August 2001 02:56:21:

Als Antwort auf: TOURISMUS - CHANCE oder FALLE 1er Beirag zur Diskussion geschrieben von LuigiFogo am 20. August 2001 02:51:36:

Schrumpfende Ferne - expandierender Tourismus

Kritische Einführung in den 3.Welt Tourismus
von Tina Goethe

"Zu den größten Kämpfen des Menschen, gut/böse, Vernunft/Unvernunft etc., gehört auch dieser gewaltige Konflikt zwischen der Phantasie der Heimat und der Phantasie der Ferne, der Traum von den Wurzeln und der Fata Morgana der Reise."
Salman Rushdie, 1999

Doch die Ferne schrumpft. Was früher weit und ohne Begrenzung schien, wirkt nun klein und bekannt, spätestens seit auf dem Fernsehschirm zu sehen ist, wie winzig unsere Welt als blauer Planet in der schwarzen Unendlichkeit schwimmt. Erst recht seit es für jedermann und jedefrau technisch möglich und vor allem finanziell erschwinglich ist, im Reisebüro eine Reise an egal welchen Flecken dieser Erde zu buchen. Mit dem Flugzeug relativieren sich alle Distanzen. Im Tourismus lässt sich das Phänomen der Globalisierung persönlich am intensivsten erfahren.

Der alljährliche Exodus - auf der Suche nach dem Paradies

Von diesen Möglichkeiten machen jedes Jahr mehr Menschen aus den Industrieländern (1) Gebrauch. Gesucht wird neben Erholung und Tapetenwechsel, Freiheit, Glück und Abenteuer. In Massen begeben wir uns auf die Reise ins imaginierte Paradies, wie es uns in Katalogen, Reiseführern und Dia-Shows in verschiedenen Ausführungen als Auswahl á la carte versprochen wird. 625 Millionen TouristInnen waren 1998 grenzüberschreitend unterwegs, 10 Jahre vorher waren es noch 200 Millionen weniger (2). In Deutschland unternehmen rund 2/3 der Bevölkerung (49 Millionen Menschen) pro Jahr insgesamt 64,8 Millionen Urlaubsreisen und geben dafür 69 Milliarden Mark aus - fast doppelt soviel wie 10 Jahre zuvor (3). Dieser touristische Vollrausch teilt die Welt in Gesellschaften, die Urlaub kaufen, und solche, die ihn verkaufen bzw. die Kulisse dafür bieten. Die Aufteilung verläuft entlang einer nicht nur durch Sonnenwärme definierten Nord-Süd-Grenze, die sich ständig verschiebt. Noch liegen die klassischen Urlaubsländer in Europa und die USA an der Spitze der Top Ten touristischer Destinationen - sowohl bezüglich der Anzahl internationaler Ankünfte, als auch - und vor allem - bei den Einnahmen(4). Dennoch läßt sich bei den Destinationen deutlich eine Trendwende in den letzten Jahren ausmachen. Der Anteil von Drittwelt-Ländern am internationalen Reisemarkt ist seit 1970 von 10% auf knapp 30% gestiegen. Fuhren die Deutschen in den 60er und 70er Jahren noch vornehmlich in die Mittelmeerländer, reizen heute fernere Ziele: statt Griechenland Thailand oder Indonesien, statt Spanien die Karibik oder Südamerika. Bestes Beispiel ist die Dominikanische Republik, die dieses Jahr als "Mallorca der Karibik" zu Spottpreisen auf dem Markt gehandelt wurde, während die Balearen ihrerseits versuchen, ihr Billig- und Ballermann Image aufzupolieren.

Mit Tourismus läßt sich viel Geld verdienen. Nicht zufällig wird er als einer der weltweit wichtigsten Wirtschaftssektoren mit den sichersten Wachstumsraten gehandelt. Kein Wunder also, dass auch viele Länder der Dritten Welt nach wie vor hoffen, durch Tourismus die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Die World Tourism Organisation (WTO) verkündete im November 1998 auf einer Konferenz in Zimbabwe, wie Tourismus im Kampf gegen die Armut Erfolge erzielen könnte. Angola als eines der ärmsten Länder Afrikas nimmt sich vor, Tourismus mit auf die Prioritätenliste des nationalen Wirtschaftsprogramms zu setzen.(5) Doch der Euphorie, das für den Urlaub ausgegebene Geld leiste einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung der Armut, bringe notwendige Devisen und schaffe Arbeitsplätze, stehen ernüchternde Erfahrungen gegenüber. Auch die Entwicklungszusammenarbeit der 60er Jahre war der Vision erlegen, die massenhaft Reisenden würden ihre jährliche "Spende" quasi persönlich bei den Armen abliefern. Zwischenzeitlich wurde das Image des und der FerntouristIn (zu Recht) massiv angekratzt. Die durch das jährliche Fernweh verursachten Probleme, vor allem in den Entwicklungsländern, werden mittlerweile selbst von der Tourismusindustrie kaum noch geleugnet.

Wer profitiert im Geschäft mit den "Paradiesen"?

Die Weltbank als tonangebende Entwicklungsorganisationen, nationale Tourismus-Ministerien und VertreterInnen der Tourismusindustrie argumentieren nach wie vor, dass Tourismus für viele arme Länder eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, um an Devisen zu kommen und Anschluß an den Weltmarkt zu finden. Als arbeitsintensive Industrie, die vergleichsweise wenig Investitionskapital benötigt, scheint sie den Ausgangsbedingungen in Entwicklungsländern gut angepaßt zu sein. Gerade die gefragten Ressourcen, wie "unberührte" Natur und Kultur, scheint es in diesen Ländern (noch) zur Genüge zu geben. Sie lassen sich hervorragend vermarkten, da sie der - ebenso gnadenlos vermarkteten - Paradiessehnsucht zivilisationsmüder EuropäerInnen entsprechen. Zudem kosten Sonne, Strand und Exotik die Tourismusindustrie nichts und Arbeitskräfte sind billig.

Doch der Tourismus ist für die Zielländer bei weitem nicht so profitabel, wie die enormen Ausgaben der Reisenden für ihre Ferien vermuten lassen. Mehr als die Hälfte der Reiseausgaben werden für Flugkosten, Veranstalterprovision, Ausrüstung, Gewinne und Versicherungen usw. ausgegeben und bleiben damit im Herkunftsland der TouristInnen. Auch Rucksackreisende geben einen Großteil ihres Budgets im eigenen Land aus - "alternative" Ausrüstung wie Zelt, Schlafsack, Wanderschuhe und der obligatorische Rucksack sind inzwischen high-tech Produkte und ausgesprochen teuer.

Das, was schließlich im Urlaubsland selber ausgegeben wird, muß gegen Ausgaben für tourismusbedingte Importe (spezielle Lebensmittel, Klimaanlagen, Sportgeräte, Baumaterialien, Kläranlagen...), für Werbekampagnen und Investitionen in touristische Infrastruktur aufgerechnet werden. Diese Rechnung geht für die einzelnen Länder jeweils unterschiedlich auf: insbesondere kleine oder wenig industrialisierte Länder und Inseln verlieren zum Teil bis zu 80% der Deviseneinnahmen für Importe. Ein Großteil der Tourismuseinnahmen gelangt damit gar nicht erst in die lokale Wirtschaft. Besonders problematisch sind die "all-inclusive-Reisen", wie sie derzeit vor allem in der Dominikanischen Republik angeboten werden. Essen, Getränke und Unterhaltung gibt es innerhalb der Hotelanlagen und sind im voraus bei den Veranstaltern bezahlt. Im Umland wird von den TouristInnen kaum noch konsumiert, von ein paar Souvenirs vielleicht abgesehen. Zudem wird von den Hotels viel importiert, die einheimischen Betriebe haben kaum noch eine Chance. Im Mai diesen Jahres entschied die Regierung Gambias daher, "all-inclusive Angebote" in ihrem Land zu verbieten.(6)

Das Argument, der Ausbau der für den Tourismus notwendigen Infrastruktur (asphaltierte Straßen, Flughäfen...), würde auch der Bevölkerung zugute kommen und daher den Einsatz von Steuergeldern rechtfertigen, ist eine Frage der Priorität. Für die medizinische Versorgung der Bevölkerung hingegen, scheint oft nicht ausreichend Geld vorhanden zu sein. Zumal ist der tatsächlich Nutzen fraglich, wenn große, ausgebaute Straßen in fast ungewohnte Gebiete führen, wo sich die Nationalparks befinden.(7) Der Unterhalt von diesen ausschließlich touristisch genutzten Straßen und Flughäfen geht zu Lasten des Landes und seiner Bevölkerung und nicht der davon profitierenden Tourismusindustrie.

Die globale Schlacht um die billigsten Paradiese

Im Glauben an den Goldregen durch die Reiseindustrie haben viele Länder verstärkt in touristische Infrastruktur investiert. Entstanden sind touristische Monokulturen, gänzlich abhängig von den Trends und Moden auf dem globalen Markt. Immer mehr "Paradiese" werden auf den Markt geworfen, unterbieten sich gegenseitig im Preis. Gerade die Asienkrise machte deutlich, wie anfällig die Branche ist. Der Rückgang der Tourismusgeschäfte in Thailand beispielsweise ermöglichte es den internationalen Reiseveranstaltern, die Preise zu drücken, da lokale Anbieter aufgrund schlechter Auslastung der Hotels gezwungen waren, niedrige Preise zu akzeptieren. So war selbst eine Nacht in einem Luxushotel für unter 50 US$ zu haben.(8)

Vor allem Inselstaaten haben ganz auf die touristische Karte gesetzt - 87% des Bruttoinlandprodukts der Inseln Barbados und Antigua (im Vergleich dazu Spanien: 5.2%) stammen aus Tourismuseinkünften.(9) Sie unterliegen im besonderen Maß dem Diktat der internationalen Tourismuskonzerne, die zunehmend die verschiedenen Sektoren im Tourismus in sich vereinen. So arbeiten Hotelketten, Reiseveranstalter und Fluggesellschaften immer enger zusammen und fusionieren zu transnationalen Unternehmen. Kleinere Unternehmen haben in dieser Branche daher nur begrenzt Chancen und sind dem Druck der Großen ausgesetzt. Der Preiskampf untereinander ist gnadenlos, gespart wird wie immer am untersten Ende der Kette, bei den Löhnen für die Dienstleistenden vor Ort. Frauen sind da billiger als Männer (ihr Lohn liegt in Entwicklungsländern durchschnittlich ca. 30%, in Industrieländern ca. 20% niedriger), Kinder kosten fast nichts. Kein Wunder also, dass der Anteil der Kinderarbeit gerade im Tourismus besonders hoch ist (10). Andererseits wächst der Druck, die touristischen Destinationen an internationalen Standards auszurichten - westliche Reisende sollen sich überall wie zu Hause fühlen. Ferienziele werden dadurch immer austauschbarer und den UrlauberInnen wird es zunehmend gleichgültiger, in welches Land sie fahren - Hauptsache Wetter und Service stimmen.(11) Dass die Reisemotivation vieler TouristInnen sich eher aus dem "weg von" - raus aus dem Alltag - speist, als dem "hin zu", hatte der Gesellschaftskritiker Hans Magnus Enzensberger schon vor 40 Jahren konstatiert. Erwartungen der Nachfrage und Ausgestaltung des Angebots bestimmen sich auch im Tourismus gegenseitig. Das "Exotische" und das "Fremde" soll in möglichst verträglicher Form präsentiert werden. Hotels, Restaurants und Einkaufszentren werden an internationalen, also westlichen Standards ausgerichtet. Es kann dazu führen, dass wir nahezu überall auf der Welt das Gefühl haben, schon mal dagewesen zu sein.

Paradiesisch - für wen?

Tourismus in Entwicklungsländern schafft Arbeitsplätze, heißt es. Tatsächlich steht ein Heer von Dienstleistenden bereit, um für das Wohl der Reisenden zu sorgen. Zimmermädchen, Beachboys, Barmixer, Tourguides, Schuhputzer, SouvenirverkäuferInnen, Sexarbeiterinnen, FolkloretänzerInnen, Taxifahrer und viele mehr verdienen mehr schlecht als recht am Tourismus. Doch wieviel und unter welchen Bedingungen? Die zum Großteil schlecht bezahlten Jobs sind saisonal begrenzt und bieten nur selten arbeitsrechtliche Sicherheiten. An die höher qualifizierten Stellen kommen nur wenige der dort lebenden Menschen, da es um die Ausbildung im touristischen Bereich meist schlecht steht. Große, internationale Hotelketten bringen einen Teil ihrer Angestellten sogar selbst mit. Der Ausbau touristischer Infrastruktur, wie beispielsweise große Hotel- und Vergnügungsanlagen, macht vielerorts andere Arbeitsmöglichkeiten zunichte. So haben in Tansania ausländische Investoren ganze Strände in Beschlag genommen und den Fischern den Zugang zu den Gewässern verboten, von denen sie bisher lebten. (12) Auf den Philippinen sollen auf Reisfeldern Golfplätze angelegt werden. (13) Auch die Nachricht von der malaysischen Insel Redang, wo für den Bau eines komfortablen Landestegs und ein weiteres Tourist-Resort mit 150 Villen ein ganzes Dorf zwangsumgesiedelt wurde, ist bei weitem kein Einzelfall. (14) Andererseits ziehen touristische Regionen tatsächlich viele Arbeitssuchende an, oft länger, als das Arbeitsangebot reicht. Nicht immer geht die Rechnung vom einfach verdienten Geld auf und anderen Produktionssektoren wie der Landwirtschaft gehen Arbeitskräfte verloren.

Im touristischen Sektor werden koloniale (Dienst-)Verhältnisse wiederbelebt. Für ein geringes Trinkgeld hat die lokale Bevölkerung den weißen TouristInnen freundlich zu Diensten zu sein. Zwischen der Inanspruchnahme der Menschen und ihrer Lebensweisen als Kulisse und unbezahlte Fotomodelle und Sextourismus als krassestem Ausdruck dieses Ausbeutungsverhältnisses bestehen fließende Grenzen. Wer dient und wem gedient wird ist nicht zufällig - die Rollenzuteilung erfolgt entlang von Herrschaftsverhältnissen, die sich über Haut und Geschlecht definieren. So wurde ein in Deutschland studierender Kenianer, der eine Pauschalreise in sein Heimatland buchte, die ersten Tage in seinem Hotel schlichtweg ignoriert bzw. als Angestellter angesprochen. (15) Einer schwarzen Tansanierin, die sich in Sansibar aufhielt, wurde der Service in einer Hotelbar verweigert - Schwarze hätten in diesem Hotel (als Gäste wohlbemerkt) keinen Zutritt. (16)

Dort, wo der Zugang in die touristische Welt den Einheimischen nicht explizit verboten ist, ist er ihnen dennoch meist faktisch verwehrt, da die Preise verglichen mit dem landesüblichen Niveau horrend sind. Über die gesteigerte Nachfrage an Land, Lebensmitteln und anderem steigen die Preise jedoch auch außerhalb des direkten touristischen Umfeldes und die lokale Bevölkerung sieht sich mit einem stetigen Anstieg der Lebenshaltungskosten konfrontiert. In Gambia erhöhte sich der durchschnittliche Tageslohn von 1,55 US$ (1972) auf 2,85 US$ (1980), während sich im gleichen Zeitraum die Lebenshaltungskosten mehr als verdoppelten, so dass der Reallohn unter den Stand von 1972 sank. (17)

Was bleibt von den "Paradiesen"?

Die ökologischen Auswirkungen unserer Erholungsbedürfnisse sollten eigentlich aus Erfahrungen "vor der Haustür" längst bekannt sein. Teile der Mittelmeerküste und insbesondere der Alpenraum bieten traurige Beispiele. Was dort an Verbauung, Landschaftsvernutzung und -zerstörung inzwischen als bedauerliche Fakten hingenommen wird, wurde in vielen Ferienzielen in Entwicklungsländern wiederholt und steht anderen erst noch bevor. Neben dem einmaligen Eingriff in die Landschaft durch den Bau einer großen Hotel- und Vergnügungsanlage, der das Ökosystem gänzlich verändert, leiden Land, Luft und Bevölkerung kontinuierlich unter dem massiven Ressourcenverbrauch der TouristInnen. Insbesondere Golftourismus ist Wasser- und Landschaftsfresser Nummer 1. So entspricht der Fläche eines Golfplatzes ungefähr der von 40 Reisfeldern mit einer Jahresproduktion von 500 000 kg Reis. Das für die glattgemähten Spielwiese verbrauchte Wasser würde den täglichen Bedarf an Trinkwasser von 15 000 EinwohnerInnen in Manila decken oder 65 ha Ackerland bewässern. Aber auch Duschen, Swimming Pools und Wassertoiletten, die zur Grundausstattung auch der einfacheren Hotels gehören, verursachen in vielen Gebieten Wasserknappheit, die jedoch nur die lokale Bevölkerung im Haushalt oder in der Landwirtschaft zu spüren bekommt. Das Wasser fehlt damit für die Produktion von Nahrungsmittel, als sicheres Trinkwasser und für die tägliche Hygiene.

Auch RucksacktouristInnen sind Teil der Umweltproblematik. Ein beliebiges Beispiel ist die Vermüllung eines 33km langen Wanderwegs in Peru. Auf dem sogenannten Inka Trail zur Inkafestung Machu Pichu wurden im Jahr 1983 400 Kilogramm leerer Dosen eingesammelt - das entspricht etwa 16 000 Thunfischbüchsen. 40% der Dosen trugen deutsche Aufschriften. (18) Das Umweltbewußtsein Einzelner mag sich inzwischen verändert haben, die grundsätzliche Problematik bleibt bei der massiven saisonalen und geographischen Konzentration von UrlauberInnen auch bei den besten Absichten bestehen.

Am deutlichsten zeigen sich diese Umweltprobleme auf Inseln, wie z. B. den Malediven. Sie sind weit fragiler als Festlandgebiete - ihnen fehlt das Hinterland zur Müllentsorgung und ihre Wasserreserven sind begrenzt. Jede Insel ist ein Mikrokosmos, eine Erde im Kleinen. Für die Erde seien Inseln das, was früher Kanarienvögel für Bergleute waren, meint Anjali Acharya vom Washingtoner World Watch Institute: "Ein kranker Kanarienvogel zeigte schlechte Luft in den Stollen an; kranke Inseln könnten den Rest der Welt vor ihrer Zukunft warnen." (19)

Die Rettung der Paradiese?

Die Phase der bitteren Erkenntnisse ökologischer Katastrophen hat die Tourismusdebatte jedoch inzwischen hinter sich gelassen. Heute wird dem Tourismus selbst von vielen seiner ehemaligen KritikerInnen sogar eine positive Rolle zugesprochen: "Tourismus - vorzugsweise Ökotourismus - ist längst zum unverzichtbaren Faktor im weltweiten Naturschutz geworden und leistet in diesem Zusammenhang unstreitig täglich neue Schrittmacherdienste", ist in einer Veröffentlichung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) nachzulesen. (20) Mit der Zauberformel des "nachhaltigen Tourismus" hat die Entwicklungszusammenarbeit den Tourismus wieder entdeckt. Es geht um eine "Form des verantwortungsbewußten Reisens in naturnahe Gebiete, die negative Umweltauswirkungen und sozio-kulturelle Veränderungen zu minimieren sucht, zur Finanzierung von Schutzgebieten beiträgt und Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung schafft." Laut der BefürworterInnen dieses Konzeptes biete der Ökotourismus ökonomische Anreize zum Erhalt von Naturräumen und Biodiversität. Gedacht wird hauptsächlich an kleinere Projekte, idealerweise in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften. Auch die sogenannte "kulturelle Identität" lokaler Gemeinschaften würde durch das (zahlende) Interesse der TouristInnen gestärkt. Nach rein ökonomisch-monetären Überlegungen werden Natur und Kultur - in "Wert gesetzt". Das geht oft zu Lasten traditioneller Landnutzungsarten, die auf dem (touristischen) Weltmarkt keinen "Mehrwert" besitzen. Generell besteht in dieser Logik, die Ökonomie und Ökologie auf einen Nenner bringt, die Gefahr, dass alle kulturellen und sozialen Beziehungen von Mensch zu Mensch und Mensch zu Natur zu Warenbeziehungen degradiert werden. Ein "monetäres Inwertsetzen" schützt die Menschen nicht vor ökonomischer Ausbeutung. Tourismus tendiert dazu, Menschen als Träger bestimmter "Kulturen" zu Waren zu degradieren. Auch der Ökotourismus kündigt diesbezüglich keine positive Änderung an. Die Wendung vom Tourismus als "Landschaftsfresser" (21) hin zum "Tourismus als Instrument für nachhaltige Entwicklung" ist damit nicht einmal in der Theorie erfolgreich vollzogen.

Vernachlässigt wird ebenso der grundsätzliche Widerspruch, dass auch ÖkotouristInnen den Flieger benutzen, um ihr Projekt mit dem grünen Punkt zu erreichen. Mit einer einzigen Flugreise an die Westküste Südamerikas belastet einE PassagierIn die Atmosphäre so stark, wie ein deutscher Durchschnittsautofahrer in mehr als 2 Jahren, ist der Greenpeace-Studie zur Klimaschädlichkeit des Luftverkehrs zu entnehmen. Die bereits zitierten Autoren der gtz geben zu, dass Ferntourismus in der Summenbilanz unter sozialen wie ökologischen Gesichtspunkten mehr Schaden anrichtet, als er nutzt. Folgen für die Propagierung dieses neuen Allround-Rezeptes hat ihre Einsicht jedoch nicht.

Die Tourismusindustrie nimmt das ökotouristische Konzept mit Freuden auf, verspricht es doch eine Angebotsdifferenzierung und damit eine neue Marktnische. Was sich dann unter der Bezeichnung "öko" alles findet, ist mehr als haarsträubend. So will Südafrika beispielsweise bis 2000 führende Ökotourismus-Destination werden. Dazu sollen allein 30% der Fläche des Maputalandes zum Maputa National Park zusammengefaßt werden und unter Heranziehung "weltbester wissenschaftlicher Experten einem intensiven ökologischen Rehabilitierungsprogramm" unterzogen und mit Wildtieren aufgefüllt werden. (22) Für die Errichtung von Luxusunterkünften, Busch-Suiten und Privatflugplätzen wurden von der Weltbank und der südafrikanischen Industrie 12 Mio Dollar bereitgestellt. Wieder einmal wurden die ansässigen Menschen nicht an dieser monströsen Planung beteiligt. Zudem droht ca. 8000 BewohnerInnen allein aus der Provinz Dukuduku die Vertreibung im Zeichen des Naturschutzes. Auch aus dem Grenzgebiet zwischen Burma und Thailand gibt es Berichte, denen zufolge ein schwer zugängliches Waldgebiet im Norden Thailands als ökotouristische Attraktion genutzt werden soll. Da "bewußt Reisende" nicht nur "ursprüngliche" Landschaften genießen wollen, sondern sich auch für deren BewohnerInnen samt ihrer Kultur interessieren, ist von Seiten der Planenden die Errichtung neuer Dörfer für die Karen - die derzeitigen BewohnerInnen des Waldgebietes - vorgesehen. Dort können diese dann ganz "authentisch" von den TouristInnen in ihrem Alltag beobachtet und sicherlich auch fotografiert werden - mit allem Respekt versteht sich.

Sicherlich stehen diese Beispiele nicht für ernstgemeinte Projekte im Sinne von Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Doch auch die "echten" Projekte haben bisher keine verallgemeinerbaren Lösungen für die anfänglich skizzierten Probleme gefunden, so dass bisher nicht guten Gewissens von der Möglichkeit eines "nachhaltigen Tourismus" gesprochen werden kann. Denn wer wirklich von dieser neuen und "guten" Form des Reisens profitiert, bestimmen nach wie vor die Gesetze des internationalen Marktes.

Entwicklung durch Tourismus?

Sicherlich nur für diejenigen, die die Entwicklung eines Landes ausschließlich an dessen Bruttoinlandsprodukt festmachen. Sicherlich nicht für diejenigen, die für selbstbestimmte Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen in allen Teilen der Welt einstehen. Unter gegebenen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen werden Rechte und Bedürfnisse der Bevölkerung in den touristischen Zielländern bestenfalls nicht berücksichtigt, schlimmstenfalls verletzt. Auch im Tourismus ist eben der Kunde König, und der konsumiert - wenn´s das Konto erlaubt - nach Herzenslust rund um die Welt.

Anmerkungen

1 99% aller TouristInnen weltweit sind in Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland und Japan zuhause. Vgl. Integra Magazin 2/99.
2 WTO-Statistik "Tourism Highlights 1999"
3 SPIEGEL special 2/97
4 Nur China und Mexiko schafften es in die Top Ten ´98, bezüglich der Einnahmen liegt Mexico nur auf Platz 14. WTO-Statistik „Tourism Highlights 1999„
5 WTO news, Dec/Jan 1999
6 Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung Basel (akte), Kurznachrichten 3/99
7 Christian Stock (1997): Trouble in Paradise. Tourismus in die Dritte Welt. iz3w Freiburg.
8 Christine Plüss (1999): Die Mär vom nachhaltigen Wachstum des Tourismus. In Rundbrief Forum Umwelt und Entwicklung 1/1999
9 WTO 1996
10 Christine Plüss (1999): Ferienglück aus Kinderhänden. Kinderarbeit im Tourismus. Rotpunktverlag
11 Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Tourismusforschung, vergl. Tourism Watch 3/99
12 akte - Kurznachrichten 3/99
13 akte - Kurznachrichten 3/98
14 Tourism Watch 3/97
15 Gespräch mit dem Betroffenen während eines Seminars zu Tourismuspolitik in Loccum
16 akte - Kurznachrichten 3/99
17 Mechtild Maurer in: Solidarische Welt 3/90
18 Peter Zimmer (1984): Alternativtourismus - Anspruch und Wirklichkeit
19 SPIEGEL special 2/1997
20 Jürgen Wolters (1998) in: (Öko-)tourismus als Instrument für nachhaltige Entwicklung? Tourismus und Entwicklungszusammenarbeit. gtz.
21 Jost Krippendorf (1976): Die Landschaftsfresser. Tourismus und Erhohlungslandschaft. Verderben oder Segen? Bern
22 Ökozid journal 11/96

Tina Goethe
4/1/100




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